Beim MTM SUMMIT 2023, dem Treffen der MTM-Community am 18. und 19. Oktober in Hamburg und online, präsentiert Michael Wiesinger, Vice President of Commercialization, Kodiak Robotics, Mountain View, USA, die neuesten Entwicklungen in Sachen autonomes Fahren. Eine wesentliche Rolle spielt hier die Künstliche Intelligenz. Wir haben mit Michael Wiesinger vorab über seine Leidenschaft für Zukunftstechnologien gesprochen.
Michael, was hat dich vor 5 Jahren ins Silicon Valley, Kalifornien, verschlagen?
„Ich war damals bei der Boston Consulting Group im Automotive Bereich tätig und habe zu der Zeit meine heutige Frau kennengelernt, die in Wien studiert hat. Sie ist im Silicon Valley aufgewachsen. Nach reiflicher Überlegung, wo wir als Paar leben möchten und im Einklang mit meinem beruflichen Wunsch, in der Zukunft vom Consulting in den Mobility Bereich eines Start-ups zu wechseln, entschieden wir uns letztlich für das Epizentrum der Mobilitätsbranche: das Silicon Valley. Meine Wahl fiel dann auf Kodiak Robotics. Bei diesem Unternehmen hatte ich das Gefühl, dass das beste Talent vorhanden ist und dass ich etwas bewegen kann.”
Womit genau beschäftigt sich das Start-up?
„Wir entwickeln Technologie für fahrerlose Trucks. Das heißt, wir sind verantwortlich für die nahtlose Integration der Sensoren in die Trucks und die Bereitstellung der erforderlichen Software, als auch Remote Monitoring Tools, wie z. B. kodiakOnTime: Es überwacht u. a. die von Kodiak betriebenen LKW aus der Ferne und regelt die Routenführung zu den Abhol- und Abgabestellen. Außerdem kümmern wir uns um die Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur, um z. B. Inspektionen der Trucks durchzuführen. Darüber hinaus führen wir Testfahrten durch, die auf öffentlichen Straßen derzeit immer noch von einem Sicherheitsfahrer begleitet werden, um im Notfall eingreifen zu können. Auf abgesperrten Test-Strecken sind wir hingegen schon vollkommen autonom unterwegs.”
Michael, auf welchem Level in punkto autonomes Fahren befindet Ihr euch gerade?
„Es gibt insgesamt fünf Level, die die Industrie festgelegt hat und die den Übergang vom Assistierten Fahren bis zum Fahrerlosen Fahren beschreiben. Wir entwickeln ein Level 4 System. Level 4 bedeutet, dass unsere Trucks innerhalb eines bestimmten Bereiches z. B. dem Interstate Network in den USA, völlig autonom und ohne Fahrer unterwegs sein werden, wobei unsere Strecken auf bestimmte Straßentypen oder Wetterlagen beschränkt sind. Level 5 impliziert, dass diese Einschränkungen wegfallen würden und die Technologie überall und jederzeit einsetzbar wäre. Jedoch stellt sich an dieser Stelle ernsthaft die Frage, ob und wann Level 5 erreicht werden kann.
Auf den öffentlichen Straßen werden unsere Trucks derzeit im Level-2-Modus betrieben. Das heißt, zum Großteil und mehr als 95% der Zeit agiert der Truck autonom, der Fahrer hat jedoch seine Hände nahe dem Lenkrad und kann zu jeder Zeit eingreifen. Alle 100 Millisekunden wird ein sogenannter Health-Check durchgeführt und u. a. geprüft, ob die Reifen den richtigen Druck haben oder der Motor die richtige Temperatur hat. Falls es an irgendeiner Stelle zu Problemen kommt, geht die Kontrolle derzeit wieder zurück an den Fahrer, gemäß dem Prinzip eines Fahrer-Assistenz-Systems.”
Welche Schritte sind erforderlich, damit die Trucks offiziell für den Straßenverkehr zugelassen werden?
„In den USA kann man von einer Art Selbstzertifizierung sprechen. Grundsätzlich gilt: Du musst nur alle Regeln des Straßenverkehrs befolgen können. Von der Gesetzeslage her könnte Kodiak also in derzeit mehr als 20 Bundesstaaten seine Trucks fahrerlos auf die Straße schicken. Unser Anspruch ist aber, dass wir sicherer als ein menschlicher Fahrer sind. Um dies im Vorfeld abklären zu können, sammeln wir Daten aus gefahrenen Meilen und Simulationen, schauen uns zusätzlich die Reaktionen des Trucks in Test-Szenarien an. Aus all diesen Daten wird dann am Ende eine Risikoanalyse erstellt. Diese ist derzeit noch in Arbeit.“
Michael, welche konkreten Vorteile bietet der Einsatz von fahrerlosen Trucks für Unternehmen, sowohl wirtschaftlich als auch demografisch betrachtet?
„Demografisch gesehen herrscht in den USA ein enormer Fahrermangel. Der Hauptgrund besteht darin, dass oftmals lange Strecken zurückgelegt werden müssen und die Fahrer somit eine lange Zeit von zuhause weg sind. Viele junge Leute möchten dies nicht mehr. Auf der anderen Seite wächst die Bevölkerung und das Transportvolumen nimmt zu. Die Tendenz geht in Richtung Online-Bestellung, wobei die Kunden ihre Lieferung innerhalb von ein, zwei Tagen erwarten. Es besteht somit eine immer größere Diskrepanz zwischen Nachfrage und Anzahl der zur Verfügung stehenden Fahrer und Transportkapazität. Dieser Entwicklung möchten wir mit unseren autonomen Trucks entgegenwirken.
Der wirtschaftliche Aspekt kann anhand eines Spediteurs mit 1.000 Trucks deutlich gemacht werden: Normalerweise fährt ein LKW im Schnitt nur 7 Stunden am Tag, sodass das volle Transportvolumen nicht ausgeschöpft werden kann. Der fahrerlose Truck kennt diesbezüglich keine Restriktionen und ist bis zu 24 Stunden am Tag einsatzbereit; er braucht keine Pausen. Ausgenommen davon sind das Tanken und die Inspektionen. Autonome Trucks sind zudem verlässlicher und abrufbarer als menschliche Fahrer, denn sie werden nicht krank. Wir können somit im Großen und Ganzen dafür sorgen, dass der Gütertransport wieder günstiger, schneller und effizienter wird. Auch sind Unfälle auf den Straßen zu 90 % von menschlichem Verhalten verursacht. Die Sicherheit ist einer der wichtigsten Faktoren, sich für einen autonomen Truck zu entscheiden!
Zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit möchte ich noch sagen, dass autonome LKW extrem konstant fahren und keine irrationalen Entscheidungen in Bezug auf die Schnelligkeit oder das Bremsverhalten treffen. Grundsätzlich können ineffiziente Meilen vermieden werden, da autonome Trucks auch genau die Strecken fahren, die ihnen vorgegeben werden.“
Wann, meinst du, könnte aus der Vision Realität werden?
„Grundsätzlich liegt es an uns: Wir werden entscheiden, wenn wir bereit für die Straße sind! Firmeninterne Ziele sind gesteckt, allerdings nicht veröffentlicht. Aber es wird in den nächsten Jahren … Wichtig ist, dass wir als Start-up mit limitierten Ressourcen fokussiert bleiben und erst auf einer gewissen Strecke anfangen.“
Warum trittst du beim MTM SUMMIT 2023 auf und warum sollten die Teilnehmer deinen Vortrag nicht verpassen?
„Mein persönliches Interesse besteht darin, den Leuten in Europa das autonome Fahren näherzubringen, das für uns im Silicon Valley in den USA bereits zu einem alltäglichen Thema geworden ist. In Europa hingegen ist die gesetzliche Lage noch nicht so weit fortgeschritten und das Thema scheint noch in ferner Zukunft.
Ich möchte den Teilnehmern des MTM SUMMIT 2023 verdeutlichen, wie schnell die Technologie wirklich voranschreitet und welche Vorteile sie für die Unternehmen bereithält. Ich freue mich schon auf die anschließende Diskussion, da sie Raum für Interaktion mit jemandem gibt, der sich tagtäglich mit dem Thema beschäftigt!
Das Beste, was passieren kann, ist für mich, dass sich Logistiker in ihrer Firma die Frage stellen: Wie denken wir eigentlich über den Transport der Zukunft?“